Das Modell der Viertagewoche ist das Trendthema in Unternehmerkreisen: Kann es unsere Arbeitswelt positiv verändern? Welche Chancen bietet es zur Lösung des Fachkräftemangels und zur Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit? Oder birgt es Risiken, für die nicht jedes Unternehmen gerüstet ist?
Diese und weitere Fragen diskutieren wir anhand der Erfahrungen zweier erfolgreicher Unternehmer: Nadja Kaderli, Geschäftsführerin von vitami:m, sowie Martin Ritler, Geschäftsführer des Cheminéebauers Glutform, der die Viertagewoche vor drei Jahren eingeführt hat.
Für die Organisationspsychologin Nadja ist klar: Die Viertagewoche ist nicht bloss eine strukturelle Veränderung – vielmehr bedingt sie einen umfassenden Kulturwandel. Wir sprechen zudem darüber, wann ein Unternehmen für die Viertagewoche bereit ist und welchen spürbaren Effekt dieses Arbeitszeitmodell auf die Mitarbeitenden hat.
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Warum hat Glutform die Viertagewoche eingeführt?
Martin Ritler entschied sich aus pragmatischen Gründen für die Viertagewoche: «Das Jahr zuvor hatte ich viele Mitarbeiterausfälle auf der Baustelle. Ohne Kamine kein Umsatz – also musste ich handeln.» Die Idee: Die Reduktion der Arbeitstage soll die Gesundheit der Mitarbeitenden schützen, Erschöpfung reduzieren und so langfristig auch wirtschaftliche Vorteile bringen.
Doch Ritler betont, dass die Umsetzung nicht nur Vorteile brachte. Der Erfolg des Modells hängt stark von der Führungskultur, der Eigenverantwortung der Mitarbeitenden und einer strukturierten Organisation ab.
Funktioniert die Viertagewoche wirklich?
Die Euphorie lässt nach
Anfangs war die Begeisterung gross: weniger Arbeitstage bei gleichem Lohn und mehr Freizeit – wer würde dazu Nein sagen? Doch Ritler beobachtete, dass sich nach etwa eineinhalb Jahren ein Gewöhnungseffekt einstellte. «Der Donnerstag wurde zum neuen Freitag, und die Krankheitstage stiegen wieder.» Was zunächst als Privileg empfunden wurde, wurde schnell zur Selbstverständlichkeit.
Mitarbeiter arbeiten weniger, Chefs mehr
Obwohl das Modell für die Mitarbeitenden kürzere Arbeitswochen bedeutet, trifft dies nicht auf Ritler selbst zu: «Ich arbeite jetzt noch mehr als vorher.» Nadja Kaderli sieht dies als Zeichen, dass das Konzept noch nicht vollständig etabliert ist: «Wenn eine Führungskraft mehr arbeitet, um die Viertagewoche zu kompensieren, muss man Strukturen überdenken.»
Neue Arbeitsweise erfordert Umdenken
Die Viertagewoche ist weit mehr als eine reine Verkürzung der Arbeitszeit. Sie erfordert eine völlig neue Arbeitsorganisation:
- Asynchrones Arbeiten: Teams müssen lernen, Aufgaben zu erledigen, ohne gleichzeitig im Büro zu sein.
- Verantwortungsverteilung: Statt einer zentralisierten Führung braucht es mehr Eigenverantwortung.
- Digitale Zusammenarbeit: Ohne moderne Tools läuft das Modell nicht reibungslos.
Glutform setzt hierbei auf das Microsoft-Universum. «Wir haben jede Notiz, jedes Telefonat digital hinterlegt, sodass jeder im Team jederzeit nachsehen kann, was passiert ist. Es gibt keine Übergaben mehr.»

Welche Herausforderungen bringt das Modell mit sich?
- Veränderung der Unternehmenskultur
- Unternehmen mit einer strengen Hierarchiekultur haben Schwierigkeiten, die Viertagewoche erfolgreich einzuführen. «Command & Control funktioniert hier nicht», so Kaderli.
- Vertrauen und Teamwork sind entscheidend.
- Erreichbarkeit und Kundenservice
- Kunden erwarten schnelle Reaktionszeiten. Wenn eine Ansprechperson nur vier Tage die Woche arbeitet, kann es zu Verzögerungen kommen.
- Kaderli empfiehlt einen Teamansatz, sodass mehrere Personen denselben Kunden betreuen.
- Für manche Mitarbeitende ungeeignet
- Nicht alle Mitarbeitenden fühlen sich mit einer Viertagewoche wohl. «Ich hatte sogar Mitarbeitende, die lieber fünf Tage arbeiten wollten – manche wussten mit drei freien Tagen nichts anzufangen, andere wollten der Familie aus dem Weg gehen.»
- Besonders für Mitarbeitende, die nicht selbstorganisiert sind, kann das Modell problematisch sein.
- Privates Zeitmanagement als Herausforderung
- Viele Mitarbeitende nutzen den zusätzlichen freien Tag für private Verpflichtungen – was oft zu neuem Stress führt. Ritler: «Nach einem Jahr waren viele genauso gestresst wie vorher, weil sie sich den Tag vollgepackt haben.»

Rentiert sich die Viertagewoche wirtschaftlich?
Trotz aller Herausforderungen sieht Ritler wirtschaftliche Vorteile:
- Weniger Krankheitstage (zumindest in den ersten Jahren)
- Höhere Mitarbeiterbindung
- Wettbewerbsvorteil bei der Personalgewinnung: «Wir haben keinen Fachkräftemangel. Viele kommen wegen der Viertagewoche zu uns.»
- Positiver Marketingeffekt: «Mehrere TV-Stationen haben bereits über uns berichtet.»
Allerdings gibt Ritler zu bedenken: «Ob das in ein paar Jahren noch so ist, kann ich nicht sagen.»

Ist die Viertagewoche für alle Branchen geeignet?
Nicht alle Unternehmen können die Viertagewoche problemlos umsetzen:
- Schwierig: Produktionsfirmen und Gastronomiebetriebe mit festen Öffnungszeiten
- Möglich: Bauunternehmen, Agenturen, Tech-Firmen
- Erfordert Umstrukturierung: Kundenorientierte Berufe (z. B. Beratung)
«In der Gastronomie sehe ich kaum eine Möglichkeit, aber in der Baubranche gibt es Potenzial», so Ritler. Entscheidend sei, ob die Arbeitszeiten flexibel gestaltet werden können.
Fazit: Ist die Viertagewoche die Zukunft?
Die Viertagewoche ist keine Universallösung, sondern ein Modell, das gut durchdacht und an die jeweilige Unternehmenskultur angepasst werden muss. Die grössten Vorteile sind Mitarbeiterbindung, gesundheitliche Vorteile und ein positives Arbeitgeberimage. Doch es gibt auch Herausforderungen: Kundenerwartungen, Teamorganisation und wirtschaftliche Langzeitfolgen.
Laut Nadja Kaderli sollten Unternehmen, welche die Viertagewoche einführen, nicht gleich aufgeben, wenn es nicht sofort klappt: «Man muss immer wieder nachjustieren, um das Modell erfolgreich zu machen.»
Martin Ritlers Fazit: «Ja, es lohnt sich – aber es ist kein Selbstläufer. Wer die Viertagewoche einführen will, muss bereit sein, tiefgreifende Veränderungen in der Unternehmenskultur vorzunehmen.»
Mehr über unseren Kooperationspartner Glutform: www.glutform.ch
Mehr über vitami:m Kultur- und Organisationsentwicklung: www.vitamim.ch